Über das Projekt

 

Die Datenbank Zeitmetaphern ist Teil des DFG-Forschungsprojekts „Sprachliche Appräsentationen materialer Zeiterfahrung. Das Verhältnis von dingästhetischem und sozialem Sinn in Zeitmetaphern“ im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 1688 „Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne“. Es beruht auf einer Kooperation zwischen dem Seminar für Indogermanistik und dem Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

 

Ausgangspunkt und Fragestellung

 

Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht: Dieses vorgeblich afrikanische Sprichwort ziert eine deutsche Parkgarage. Wer es liest, macht gleichsam zwei Erfahrungen: Erstens spürt die Person das Reißen der Grashalme als Ergebnis des Daranziehens fast unmittelbar leiblich, obwohl von dieser Empfindung auf der propositionalen Ebene gar nicht die Rede ist. Insofern evoziert das Sprichwort ästhetische bzw. aisthetische, d.h. ‚sinnliche‘, durch die leibliche Begegnung mit der materiellen Wirklichkeit gebildete Erfahrungsgehalte. Zweitens versteht der Lesende den Satz als Kritik an gesellschaftlichen Beschleunigungsversuchen und an damit verbundenen Desynchronisationserfahrungen: Wer den Dingen nicht ihre Zeit lässt, wird sie zerstören – das ist der soziale Sinngehalt des Spruchs.

Ausgehend von diesem Beispiel war die Zielstellung des Projekts die Analyse der Beziehung dieser beiden Ebenen von Zeitlichkeit. Untersucht wurde, wie sie sich als Be­deutungsebenen zueinander verhalten, sich gegeneinander verschieben und in Spannung zueinander geraten können. Von besonderem Interesse war hierbei die Frage, ob sich aufgrund dieser charakteristischen ‚Doppelcodierung‘ von Zeitmetaphern, ihrem Auftauchen, dem Ausmaß ihrer Verbreitung und ihrem allmählichen oder plötzlichen Verschwinden etwas über den Wandel dominierender dinglicher, zeitlicher und sozialer Weltbeziehungen aussagen lässt.

Das Projekt verfolgte vor diesem Hintergrund vier miteinander verzahnte Leitfragen in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Soziologie und Linguistik:

  1. Wie werden im Gebrauch von Zeitmetaphern dingästhetische Erfahrungsweisen – insbesondere dingästhetische Eigenzeiten – sprachpragmatisch aktualisiert und mit sozialer Bedeutung aufgeladen?
  2. Wie sind – hinsichtlich ihrer Reichweite und Kontextvarianz – die untersuchten Zeitmetaphern in die kulturelle und institutionelle Praxis von Gegenwartsgesellschaften eingebettet?
  3. Welchen Veränderungen unterliegen die sprachliche Struktur und die soziale Gebrauchsweise solcher Metaphern im Verlauf gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse seit dem 18. Jahrhundert?
  4. Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Analyse von Zeitmetaphern über den gegenwartsgesellschaftlichen Modus von Ding- und Weltbeziehungen und die dingästhetisch vermittelten Zeitlichkeitserfahrungen gewinnen?

 

Soziologischer Projektteil

 

Im soziologischen Teil des Zeitmetaphern-Projekts wurde ein bestimmtes gesellschaftliches Erfahrungsfeld fokussiert: Zeiterfahrung in revolutionären Epochen. Dieses Erfahrungsfeld bietet sich aus mehreren Gründen für eine vertiefte Untersuchung an. Erstens handelt es sich dabei um ein gesellschaftlich besonders ‚tiefenwirksames‘ Erfahrungsfeld der Moderne, das vor allem seit 1789 von einem breiten politischen, literarischen und wissenschaftlichen Revolutionsdiskurs begleitet wird. Zweitens ist das Sprechen über Revolutionen gerade aufgrund dieser Erfahrungstiefe, aber auch der Unbegrifflichkeit des Ereignisses, in hohem Maße metaphorisch geprägt, zumal es sich bereits beim Wort ‚Revolution‘ selbst um eine aus der Astronomie entlehnte Metapher handelt. Und drittens sind Revolutionen nicht nur Phänomene in der (historischen) Zeit, sondern gehen – als gesellschaftliche Transformationsereignisse – auch für sich genommen mit einer spezifischen revolutionären Zeiterfahrung bzw. „Revolution der Zeit“ einher, und zwar gleichermaßen auf der kollektiven Ebene eines gesellschaftlichen Ereignis- und Transformationsgeschehens als auch auf der individuellen Ebene persönlicher Beteiligung an oder Beobachtung von Revolutionsereignissen.

 

Linguistischer Projektteil

 

Ausgangspunkt für den linguistischen Projektteil war die Ermittlung und Analyse von möglichst vielfältigen Zeitmetaphern mit Dingbezug. Während der soziologische Projektteil also eher in die Tiefe zielte, ging es im linguistischen Projektteil um die Breite, wobei der Umfang der Zitatanalysen zu den einzelnen Zeitmetaphern variierte und damit immer wieder zu Tiefenanalysen führte. Neben der Bereitstellung von Material für den soziologischen Projektteil wurden schwerpunktmäßig die Erscheinung der Enantonymie – d.h. die Beobachtung einer gegensätzlichen Bedeutung bei formal identischen Idiomen –, die erfolgreiche Zeitmetapher Pulverfass und die variationsreiche sprichwörtliche Redewendung Kastanien/Kartoffeln/Kohlen aus dem Feuer holen behandelt. Des Weiteren war der Projektteil auf eine (linguistische) Rahmung ausgerichtet, die ihren Niederschlag in einer Analyse des Wortfeldes Zeit‚ inkl. Zeitwort-Analysen, einer historischen Einordnung des Phänomens der Zeitmetapher und sprachvergleichenden Untersuchungen, fand.

 

Weblinks

 

DFG-Teilprojekt „Sprachliche Appräsentationen materialer Zeiterfahrung. Das Verhältnis von dingästhetischem und sozialem Sinn in Zeitmetaphern“

DFG-Schwerpunktprogramm 1688: „Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne“

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Seminar für Indogermanistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena